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Pompeji an der Oder: Durch die Altstadt von Küstrin (Kostrzyn nad Odrą)

historische und aktuelle Bilder von Kostrzyn (Küstrin)

Der heutige Ausflug in die Neumark führt uns nur wenige Meter aus Deutschland heraus in die Stadt Kostrzyn nad Odrą, das frühere Küstrin. Den meisten Berlinern und Brandenburgern ist der Ort fast ausschließlich durch seinen großen Basar (Markt) bekannt und die meisten Besucher der Stadt kommen wohl wegen des Einkaufs (inzwischen auch in immer mehr "richtigen" Geschäften und Supermärkten). Nur wenigen ist bekannt, daß sich hier das Pompeji der Neumark befindet, die Ruinen der Altstadt Küstrin.

Bastion König der Küstriner Festung mit sowjetischem Ehrenmal und Kanone
Bastion König der Küstriner Festung mit
sowjetischem Ehrenmal und Kanone

 

Aus Berlin kommend folgen wir der B1 bis nach Kiez-Küstrin, wo sich der Grenzübergang befindet (Achtung, halten Sie sich im Interesse des Geldbeutels an die Geschwindigkeitsbegrenzungen, wohl kaum eine Strecke aus Deutschland in Richtung polnische Grenze wird derart von mobilen Blitzanlagen der Polizei "belagert", von den fest installierten "Fotostudios" der zu durchfahrenden Gemeinden ganz zu schweigen.

 

Angekommen in Kiez-Küstrin, vor dem Krieg ein Vorort der heute jenseits der Grenze liegenden Stadt Küstrins (Kostrzyn nad Odra), fallen uns kurz vor Erreichen der Oderbrücke die großen leerstehenden Kasernenkomplexe auf, die ein gruseliges Bild und einen Vorgeschmack auf die Exkursion bieten, die wir heute unternehmen wollen. Es handelt sich hierbei um ehemalige Kasernen der Reichswehr bzw. Wehrmacht, die später durch russische Truppen genutzt wurden und heute einer neuen Nutzung entgegenwarten. Links der Straße sehen Sie die ausgedehnten Bahnanlagen des Grenzbahnhofs, der heute seine Bedeutung als Kontrollstelle verloren hat. Wir queren die Oder und die Grenze. Bereits beim Überfahren der alten Oderbrücke (die neue links in Fahrtrichtung ist bereits im Bau) fällt uns gleich rechts die erste Bastion der Festung Küstrin auf. Einst wurde von dieser Seite die Oder militärisch bewacht, bis Anfang 2009 wurde sie durch ein sowjetisches Ehrenmal mit drohend nach Deutschland gerichteter Kanone der roten Armee geziert (Foto mit Kanone und Ehrenmal vom Herbst 2008). Das Ehrenmal wurde inzwischen verlegt und die Kanone abgebaut.

 

Küstrin ist die einzige Stadt in Deutschland, die nach dem Kriege vollständig aufgehört hatte zu existieren. Lediglich die östliche Neustadt hatte den Krieg - wenn auch mit starken Zerstörungen - überstanden und heißt heute Kostrzyn nad Odra. Hier sind einige wenige Gebäude stehengeblieben, z.B. der Bahnhof und einige darum gruppierte Wohngebäude und der Wasserturm. Der Rest der Stadt war nach 1945 faktisch nicht mehr vorhanden. Dabei war Küstrin einst eine nennenswerte, aufstrebende Stadt, dank der Oderlage wirtschaftlich und militärisch von großer Bedeutung. Und auch historisch spielte Küstrin mehrfach bedeutsame Rollen in der deutschen Geschichte, bis der Endkampf des 2. Weltkrieges an der Oder die Stadt auslöschte.

Bastion König mit Einfahrstor, früher mit Straßenbahndurchfahrt
Bastion König mit Einfahrstor, früher mit
Straßenbahndurchfahrt

 

Wir wollen uns bei dem heutigen Ausflug auf die Besichtigung der Altstadt konzentrieren, vielmehr dem, was davon noch übrig ist. Leider ist es nur schwierig zu finden, von der deutlich sichtbaren Bastion "König" einmal abgesehen. Nach dem Passieren der Grenzabfertigungsstelle gibt es zwei Möglichkeiten, die Altstadt zu betreten. Zum einen kann man am Hotel "Bastion" rechts einbiegen und parken und von hier aus durch einen leider nicht ausgeschilderten Weg mit Schranke in die hinter der Ladenzeile gelangte Altstadt gelangen. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, das Hotel und das Einkaufszentrum Bastion rechts liegenzulassen und bis zum Kreisverkehr weiterzufahren und dann dort die rechte Ausfahrt zu nehmen. Die fuehrt durch ein kleines Wäldchen direkt zum "Hintereingang" der Festung. Wie es aussieht, werden derzeit auch Baumaßnahmen vorgenommen, den "Vordereingang" gleich bei der Grenzabfertigung touristisch passierbar zu machen, aber das kann wohl noch etwas dauern, sonderlich schnell scheinen die Baufortschritte wohl nicht zu gehen. Wir nähern uns von "hinten" der Festung und betreten sie durch die sog. Bastion "Philipp", die gerade dank EU-Fördermitteln rekonstruiert worden ist. Von hier bietet sich ein herrlicher Blick über die Oder und die Größe der Anlage wird deutlich.

Wir betreten die Altstadt durch das Tor bei Bastion Philipp
Wir betreten die Altstadt durch das Tor bei
Bastion Philipp

 

Erstaunlich ist das völlige Fehlen jeder touristischen Infrastruktur, außer einigen Informationstafeln gibt es keinerlei touristische Einrichtungen (die es anderswo in vergleichbaren Sehenswürdigkeiten reichlich gibt). Hier gibt es weder ein Kassenhäuschen, noch Souvenirs, Restaurants oder sonstiges. Da es auch keine Wegweiser zur Festung gibt, kommen hier nur wenige Besucher und man schaut verwundert, wie allein und ungestört man hier auf den Mauern der Festung herumwandeln kann.

 

Der Mangel an Infrastruktur hat aber auch seine Nachteile: die Wege sind teilweise holperig und man sollte nur mit größter Vorsicht von diesen abweichen. Man befindet sich hier auf den Resten einer Stadt, und bewegt sich beim Verlassen der Straßen auf alten Kellern und Gewölben, die mitunter löcherig sind. Trotzdem besteht bei entsprechender Wachsamkeit keine Gefahr und die Wege sind gut begehbar. Wir sind ziemlich sicher, daß in den nächsten Jahren auch hier der touristische Wert der Küstriner Altstadt erkannt werden wird, bis es hier ein Kassenhäuschen geben wird, ist wohl nur eine Frage der Zeit.

Herrliche Aussicht vom Festungswall über die Oder
Herrliche Aussicht vom Festungswall
über die Oder

 

Aber zunächst zur Stadt. Die Altstadt war früher völlig von Mauern umgeben, an den Ecken jeweils durch eine Bastion gesichert. Später entstanden dann auch außerhalb der Mauern Gebäude, so z.B. das Rathaus - etwa da, wo heute die Grenzabfertigungsgebäude sind. Außer den Mauern und einigen Bastionen sind heute keine Gebäude mehr erhalten. Nachdem wir das Tor der Bastion "Philipp" durchschritten haben, befinden wir uns innerhalb der hochaufragenden Festungsmauern der Altstadt. Wir gehen über gepflasterte Straßen, erkennen die Reste der Häuser und städtischen Einrichtungen. Das Gefühl, man würde auf einem Stadtplan spazieren, beschleicht uns sofort. Man blickt durch die Reste von Hauseingängen, macht die Fliesen des Küchenbodens der nicht mehr vorhandenen Häuser aus, sieht die Reste der Straßenlaternen und der Straßenbahn. Die gesamte Stadt ist bis auf die Mauern der Festung und die Bastionen an den Ecken nur noch am Boden auszumachen. Die Straßen, Plätze, Fundamente der Häuser sind noch vorhanden, der Rest fehlt. Wer einmal Pompeji besucht hat, die italienische Stadt am Fuße des Vulkans Vesuv, die bei einem Vulkanausbruch im Jahre 79 völlig zerstört wurde und in ihren Ruinen bis heute einen Einblick in das damalige Leben erhalten hat, wird sofort ein Deja-Vu verspüren. Auch die Küstriner Altstadt macht trotz aller Zerstörung an vielen Stellen den Eindruck, als ob erst gestern die Einwohner fortgegangen seien, in den herumliegenden Trümmern und Scherben findet das herumwandernde Auge immer wieder Bekanntes, es entwickelt sich ein permanenter Versuch, zu erkennen, was das einst für Gebäude waren.

Beeindruckend: wie in Pompeji Ruinen, die wie erst seit gestern verlassen wirken
Beeindruckend: wie in Pompeji Ruinen,
die wie erst seit gestern
verlassen wirken

 

Sinnvoll ist vor dem Besuch auf jeden Fall, sich einige alte Bilder der Altstadt anzusehen (man findet sie z.B. im Internet oder in diversen Büchern, oftmals Postkartenfotos). Mit den Bildern im Kopf gelingt es dann an zahlreichen Stellen, Gebäude zu identifizieren. Das Schloß, durch seine runden Innentürme mit Wendeltreppen kann problemlos ausgemacht werden, hier sieht man sogar noch das (verbrannte) Parkett auf dem Fußboden und die Fliesen der Küchenräume. Der Sockel des Denkmales steht in der Mitte des Schloßhofes. Beim Betrachten der Ruinen kommen dem Besucher alte Geschichten in den Kopf, die er einst in der Schule hörte. Dort, wo er jetzt gerade auf dem Mauerrest Platz genommen hat, könnte das Wachzimmer gewesen sein, von dem aus der junge Friedrich (später König und als der alte Fritz bekannt) zusehen mußte, wie sein gnadenloser Vater seinen Freund Katten hinrichten ließ, um beide für die geplante Flucht aus der Enge des königlichen Lebens zu bestrafen (ein zukünftiger Thronfolger konnte natürlich nicht mit dem Tode bestraft werden, aber er mußte zumindest zusehen). Die Hinrichtungsstelle hinter dem Schloß an der Bastion Brandenburg heißt seither Kattenwall. Ein Blick auf den Platz vor dem Schloß läßt zumindest ahnen, wie geschäftig es hier einst zugegangen sein muß. Spuren in den Pflastersteinen künden vom regen Treiben und vom Durchzug zahlloser Pferdewagen.

Ein Holzkreuz erinnert an den Standort der Kirche
Ein Holzkreuz erinnert an den Standort
der Kirche

 

Herumliegende Wandteile, an denen sich die Granateinschläge noch heute abzeichnen, vermitteln ein Bild von den düsteren Tagen, bevor sich das Leben der alten Stadt Küstrin im von fanatischen Naziführern befohlenen Durchhaltekampf vollendete. Gegenüber dem Schloß gelegen ist durch ein zur Erinnerung an die Opfer des Krieges errichtetes großes Holzkreuz deutlich auszumachen, wo sich die Kirche befand. Beeindruckend ist ein Gang durch das deutlich auszumachende ehemalige Eingangsportal. Verweilen Sie kurz vor dem, was vom Altar übriggeblieben ist. Im Eingangsbereich finden sich oft Blumen oder Kerzen, die Besucher zur Erinnerung an die hier ums Leben gekommen Küstriner aufgestellt haben.

 

Man kann in einer knappen Stunde problemlos einmal um die Altstadt herumspazieren, wer sich genauer umschauen möchte, sollte etwas mehr Zeit mitbringen. Interessant ist der Besuch auf der Bastion König, die wir bereits beim Überqueren der Oder mit dem Auto gesehen haben. Auch hier bietet sich neben dem historischen Teil ein wunderbarer Blick auf die Oder. Tief unten am Fuße der Festungsmauern sitzen Angler, Störche ziehen vorbei, von Zeit zu Zeit ein Boot.

Sockel des Denkmals für den Kurfürsten<br> Friedrich Wilhelm auf dem Schloßhof
Sockel des Denkmals für den Kurfürsten
Friedrich Wilhelm auf dem Schloßhof

 

Die Bastion König (dem Grenzübergang zugewandt) soll wohl später einmal der offizielle Eingang ins "Oder-Pompeji" werden. Hier sind erste Vorbereitungen zu erkennen, auch touristische Infrastruktur zu schaffen. Erfreut stellt man auch fest, daß, wenn auch langsam, an der Instandhaltung der Bastionen gearbeitet wird. An der Bastion König kann man ein Stück durch eines der großen Eingangstore gehen, durch die man früher die Festung betrat. Das hier früher sogar eine Straßenbahn durch das Tor fuhr, weiß man nur durch alte Bilder und die an der Decke noch erkennbaren Befestigungen für die Oberleitung. Gleich vor der Befestigung befand sich früher das Rathaus.

 

Wenn Sie die Küstriner Altstadt wieder verlassen, werden Sie nicht nur einen schönen Spaziergang mit einigen herrlichen Ausblicken auf Oder und Natur gemacht haben, Sie werden auch nicht gehen, ohne etwas von dem Atem der Geschichte mitzunehmen, den Sie hier bei Schritt und Tritt verpürt haben.

Kostrzyn, ehemals die Küstriner Neustadt, nur wenige alte Gebäude zwischen zahlreichen Neubauten
Kostrzyn, ehemals die Küstriner Neustadt,
nur wenige alte Gebäude wie der Bahnhof
zwischen zahlreichen Neubauten

 

Wenn Sie nach dem Spaziergang hungrig oder durstig sind, empfiehlt sich ein Besuch im Restaurant des nahegelegenen Hotels "Bastion", seit 2009 auch mit Terasse.

 

Sollten Sie noch etwas Zeit haben, besuchen Sie auch die Neustadt (zwischen Markt und McDonalds hindurchfahren), um sich einen Eindruck vom neuen Kostrzyn zu verschaffen. Hier gibt es leider nur noch wenige Reste der früheren Stadt, aber auf jeden Fall können Sie sich den Bahnhof und einige in der Nähe befindliche alte Gebäude ansehen. Hier gibt es auch ein paar Restaurants und Geschäfte, die Sie aufsuchen können. Inmitten der Neustadt befindet sich der große Wasserturm, früher Wahrzeichen der Neustadt. Der kleine Park in der Stadtmitte war früher der Kirchhof, die Fundamente der Kirche sind noch erkennbar. Der Bahnhof, früher eine bedeutende Station der Ostbahn, führt heute bloß noch ein kümmerliches Dasein, seine weitgehend erhaltenes bauliche Substanz belegt aber seine einstige Bedeutung.

F. Wassmuth, Berlin, 2009




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